29. Oktober 2024 in Spirituelles
„Im Gegensatz zu all den tödlichen Ideologien, die die Menschen mit ihrer Propaganda verführt haben, ist das Christentum die Religion der Wahrheit und Freiheit, der Liebe und des Lebens.“ Von Gerhard Card. Müller
Vatikan (kath.net) kath.net dokumentiert die Ansprache von Gerhard Kardinal Müller, emeritierter Präfekt der Glaubenskongregation, bei der diesjährigen Tagung von „Summorum Pontificum“ am 26.10.2024 während einer liturgischen Feier im Petersdom in voller Länge in eigener, nicht autorisierter Arbeitsübersetzung – Kardinal Müller hatte in diesen Tagen als Delegierter an der Bischofssynode teilgenommen.
Der große Papst Benedikt XVI. hat immer wieder auf den alles entscheidenden Unterschied zwischen Glauben und Ideologie aufmerksam gemacht. Das Christentum ist nicht eine abstrakte Theorie über die Entstehung des Kosmos und des Lebens oder eine Ideologie für eine bessere Gesellschaft, sondern die Beziehung zu einer Person. So wie der irdische Jesus vor 2000 Jahren direkt zu den Jüngern gesprochen hat, so spricht der auferstandene Christus auch heute jede einzelne Person direkt an vermittels der Predigt der Kirche. In den sieben Sakramenten schenkt er uns seine Gnade, durch die wir Anteil empfangen am göttlichen Leben. Und darum können wir im Leben und im Sterben unsere ganze Hoffnung auf ihn setzten. Gottes Sohn ist der einzige Retter der Welt, weil nur Gott in seiner Allmacht uns aus Leiden, Sünde und Tod retten kann. Kein noch so genialer Mensch kann allein oder die versammelten Kräfte und Talente aller Menschen könnten uns aus dem Abgrund der Endlichkeit herausreißen.
Und die existenzielle Versuchung, unser Vertrauen eher auf Menschen als auf Gott zu setzen, wird wiederholt. Aber in Christus bleiben wir treu und meditieren über das Wort Gottes: „Da führte ihn der Teufel hinauf und zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche des Erdkreises. Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“ (Lk 4, 6-8). So verehren wir am Ende unserer Pilgerreise zur Kathedra Petri Christus, den Sohn des lebendigen Gottes.
Infolge der Säkularisierung meinten viele, man könne leben als wenn es Gott nicht gebe- etsi Deus non daretur. Anstelle Gottes beteten sie die falschen Götter von Geld, Macht und Lust an. Doch sie sind bitter enttäuscht worden. Alle atheistischen Ideologien unserer Zeit haben zusammen mit ihren selbsternannten Führern die Welt nur tiefer ins Unglück gestürzt. Deutscher und italienischer Faschismus, sowjetischer und chinesischer Kommunismus und kapitalistischer Konsumismus haben die Welt in eine Wüste des Nihilismus verwandelt.
Das 20. Jahrhundert war geprägt von Ideologien und Monstern, die der Welt ihren Willen aufzwingen wollten ohne Rücksicht auf das Glück von Millionen Menschen. Sie glaubten, dass ihre Ideen die Rettung der Welt seien und dass der neue Mensch nach ihrem Bild und Gleichnis „erschaffen“ und gemäß ihrer Logik „gesegnet“ werden sollte. Noch heute erleben wir, wie Terroristen, Ausbeuter und skrupellose Tyrannen Hass und Gewalt als Mittel für eine bessere Welt der Zukunft erklären.
Heute treiben die Supermächte rücksichtslose Geopolitik auf Kosten des Lebens und der Würde der Kinder und Erwachsenen. Es geht nur um die Kumulation von Macht in den Händen gewissenloser Potentaten, die dafür das Lebens-Glück von Millionen Menschen auf das Spiel setzen.
Doch im Gegensatz dazu erweist Gott, unser Schöpfer und Erlöser, seine Macht gerade darin, dass er nicht wie die Machthaber dieser Welt andere für seine Interessen opfert, sondern indem er sich selbst in seinem Sohn, der unser sterbliches Fleisch angenommen hat, sich selbst dahingibt aus Liebe.
Denken wir stattdessen über die Worte Jesu nach: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“ (Joh 3, 16).
Im Gegensatz zu all den tödlichen Ideologien, die die Menschen mit ihrer Propaganda verführt haben, ist das Christentum die Religion der Wahrheit und Freiheit, der Liebe und des Lebens. Die Liebe, die Gott uns allen in Hülle und Fülle schenkt, und unsere Antwort in Hingabe an Gott und Nächstenliebe gegenüber anderen ist die Erfüllung des Menschen.
Die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten stehen im Mittelpunkt des christlichen Glaubens an die schöpferische und vollendende Kraft Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Der christliche Glaube ist eine persönliche Beziehung zu dem dreifaltigen Gott in der Gemeinschaft seiner Kirche. Wir sind durch die Taufe Söhne Gottes in Christus und Freunde Gottes im Heiligen Geist. Lassen wir also das Verhältnis zu Gott, unserem Vater nicht verkümmern auf eine mechanische Tradition, auf ein äußerliches Brauchtum oder eine gedankenlose Gewohnheit.
Als Gläubige, die durch persönliche Freundschaft mit Jesus verbunden sind, verhalten wir uns nicht wie Wächter in einem Museum einer vergangenen Welt. Wir bewegen uns in der Gegenwart Gottes, vor dem wir in Gedanken, Worten und guten Werken für unser Leben Rechenschaft ablegen müssen.
Doch wenn um uns herumschauen, sehen wir in Italien, wie in keinem andern Land auf der ganzen Welt, die großartigen Zeugnisse der christianisierten griechisch-römischen Kultur, aus deren Quellen wir schöpfen. Das ist die Synthese von Glauben und Vernunft oder Jesus Christus die Einheit unserer Orientierung an Gott und unserer Verantwortung für die Welt. Ihre bleibende Grundlage ist die Fleischwerdung des Wortes Gottes in Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch. Vom Christentum geht eine universale Humanisierung der Welt aus. In Wort und Tat wirken die Christen mit am Frieden unter den Völkern. Sie setzten sich ein für die soziale Gerechtigkeit. Sie bestehen gegenüber allen Ideologien auf der fundamentalen Würde aller Menschen und ihrer Gleichheit vor Gott.
Spüren wir etwas von Genius loci Roms als caput mundi? Bekennen wir uns zur römischen Kirche, die schon der hl. Paulus rühmte, weil „ihr Glaube an Jesus Christus in der ganzen Welt verkündet wird“ (Röm 1, 8)?
War das antike Rom der Idee nach der Friede der Völker unter der Macht des Rechtes, so verkörpert das christliche Rom die Hoffnung auf die universale Einheit aller Menschen in der Liebe Christi.
Die Geburt eines göttlichen Retter-Kindes im Goldenen Zeitalter der Zukunft, die Vergils natürlich-christliche Seele nur ahnen konnte (Bucolica IV), ist im biblischen Lied vom Knecht Gottes real verheißen: „Ich mache dich zum Heil der Völker, damit mein Heil reicht bis an die Grenzen der Erde.“ (Jes 49, 6).
Bauen Sie also das Haus Ihres Lebens nicht auf von Menschen erdachten Ideologien, sondern auf dem Felsen der persönlichen Freundschaft mit Christus in den göttlichen Tugenden – Glaube, Hoffnung und Liebe – um mit dem heiligen Paulus sagen zu können: „Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich dahingegeben hat.“ (Gal 2, 20).
Wir vertrauen auf den Schutz und die Fürsprache „der – wie der heilige Irenäus von Lyon sagte – beiden berühmten Apostel Petro und Paulus“, die mit ihrer apostolischen Verkündigung und ihrem Martyrium den Fundament für die Römische Kirche legten. Et ad hanc enim ecclesiam propter potentiorem principalitatem necesse est omnem convenire ecclesiam. (Adv. haer. III 3, 2).
Archivfoto: Kardinal Müller
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