3. November 2023 in Buchtipp
Die Autobiografie der Seherin Mirjana Soldo von Medjugorje liegt in deutscher Übersetzung vor – Von Christian Spaemann
Wien (kath.net)
Die zuerst 2016 in englischer Sprache veröffentlichte Autobiographie der Seherin von Medjugorje, Mirjana Soldo (geb. Dragičević), ist weitgehend unbemerkt im vergangenen Jahr in deutscher Übersetzung erschienen. Die inzwischen 57-jährige Ehefrau, Mutter und Großmutter unterscheidet sich in ihrer Biografie wesentlich von den anderen fünf Sehern Medjugorjes, die allesamt im bäuerlichen Umfeld dieses Ortes aufgewachsen sind. Mirjana hingegen trennt eine Generation von dieser Welt. Beide Eltern stammen zwar aus diesem Milieu, sind aber als junges Paar von Medjugorje nach Sarajevo gezogen. Die Mutter hat sich als Köchin in einer Großküche verdingt, der Vater war Röntgenassistent in einem Krankenhaus. Hier befinden wir uns bereits mitten in diesem typisch kleinbürgerlichen Leben im Plattenbau einer Großstadt in der Welt des Kommunismus.
Auf der einen Seite die Mutter, von der Arbeit gestresst, etwas rau, aber durch und durch gutmütig, auf der anderen Seite der Vater, eher etwas geruhsam, mit einem weichen Herzen, und schließlich die Tochter, Mirjana, bis zu ihrem neunten Lebensjahr Einzelkind, sein Augenstern.
Man lebt den Glauben der kroatischen Herkunft auf das Wesentliche beschränkt, aber lebendig. Von Marienerscheinungen wie in Lourdes oder Fatima hat man nie gehört. Sonntags geht man nach Sankt Antonius zu den Franziskanern in die heilige Messe, wo Mirjana auch den Religionsunterricht besucht. Zuhause besitzen die Eltern lediglich ein Gebetbuch, das sie zur Hochzeit bekommen haben. Ansonsten muss man sich dem jugoslawischen Tito-Regime anpassen. Erst später erfährt Mirjana, dass Großvater und Onkel mütterlicherseits von genau diesem Regime verschleppt und ermordet wurden. Im säkularen und zugleich multireligiösen Alltag Sarajevos sind Toleranz und Respekt selbstverständliche und gelebte Grundeinstellung in ihrem Elternhaus.
Mirjana beschreibt sich in ihrer Kindheit als ein eher schüchternes, empfindsames, durchaus verwöhntes, aber folgsames Mädchen. Eine frühe, innige Beziehung zu Jesus wird angedeutet. Sie erscheint hoch begabt und besucht eines der besten Gymnasien Sarajevos. Eine Besonderheit prägt ihr Leben vor Beginn der Erscheinungen.
Einmal im Jahr besucht die Familie ihre Verwandtschaft in Medjugorje. Trotz harter Arbeit auf den Tabakfeldern in sengender Hitze liebt Mirjana das Zusammensein mit ihren Verwandten auf dem Land, insbesondere mit ihren Cousinen so sehr, dass sie regelmäßig ihre ganzen Sommerferien dort verbringt, während sich ihre Eltern und ihr Bruder Miro an der Adria erholen.
Vor diesem Hintergrund geschieht im Sommer 1981 das Unglaubliche. In den Wochen zuvor spürt Mirjana zunehmend einen für sie selbst nicht erklärbaren Drang, sich zurückzuziehen und zu beten. In den Schulpausen sucht sie hierfür regelmäßig eine nahegelegene orthodoxe Kirche auf. Kurz nach Beginn der Sommerferien bricht die inzwischen 16-
Jährige mit dem Zug von Sarajevo nach Mostar auf, wo sie wie üblich von ihrem Onkel abgeholt und nach Medjugorje gebracht wird. Nur wenige Tage später, am Abend des 24. Juni, dem Hochfest der Geburt Johannes des Täufers, sieht sie zunächst zusammen mit ihrer Freundin Ivanka, dann mit den hinzukommenden anderen Kindern erstmals die Gottesmutter auf dem Hügel Podbrdo, dem heutigen Erscheinungsberg. Nun nehmen die Ereignisse ihren Lauf. Kern der Botschaften, die von Medjugorje ausgehen, ist die Versöhnung der Menschen mit Gott und untereinander sowie die Aufforderung zum Gebet. Mirjana wird bereits nach einigen Wochen wieder auf ihren Sonderweg zurückgeführt. Die Polizei bringt sie kurzerhand zu ihren Eltern nach Sarajevo.
Nun beginnt für sie und ihre Familie, die vom ersten Tag der Erscheinungen an hinter ihr steht, ein wahrer Kreuzweg. Auf der einen Seite die tägliche Begegnung mit der Gottesmutter, unter konspirativen Bedingungen in der kleinen Plattenbauwohnung, ab und an im Beisein einiger Freunde oder Priester. Auf der anderen Seite die Verfolgung durch die Kommunisten. Bis in die Boulevardzeitungen hinein wird Mirjana öffentlich lächerlich gemacht und als kroatische Nationalistin diffamiert. Sie ist fast täglich erniedrigenden und bedrohlichen Verhören ausgesetzt, denen sie mit erstaunlicher Festigkeit und der Bereitschaft begegnet, nötigenfalls ihr Leben zu geben.
Sie wird aus dem Gymnasium geworfen und landet in einer Schule mit Jugendlichen aus prekären sozialen Verhältnissen, zu denen sich eine besondere Beziehung entwickelt. Dem Vater droht der Verlust seines Arbeitsplatzes. In einem Alter, in dem man sich gerne mit Gleichaltrigen trifft, werden alle sozialen Kontakte von den Kommunisten torpediert.
Es bleibt Mirjana nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen. Sie möchte ihre Familie nicht belasten, das verschlossene Badezimmer ist der einzige Ort, an dem sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen kann. Das Ende der täglichen Erscheinungen zu Weihnachten 1982 ist für sie herzzerreißend. Mirjana braucht lange, bis sie den Verlust des täglichen Kontakts zur Gottesmutter wirklich annehmen kann. Die Jungfrau verspricht allerdings, ihr einmal jährlich bis zum Ende ihres Lebens zu erscheinen. Mithilfe ihrer Schuldirektorin kann sie entgegen den Absichten des Regimes maturieren und schreibt sich an der Universität ein. Dort wird sie von den Professoren, die allesamt der kommunistischen Partei angehören, identifiziert und schließlich so sehr gemobbt, dass sie im zweiten Studienjahr aufgibt.
1987 beginnen zusätzlich zu den jährlichen Erscheinungen jene an jedem zweiten des Monats, die bis zum Jahr 2020 anhalten sollen. Die Botschaften, die Mirjana hier erhält, sind von außerordentlicher Tiefe. Es folgen der Umzug nach Medjugorje, Heirat, Gründung einer eigenen Familie, Reisen um die ganze Welt, um Zeugnis zu geben, Kriegswirren und ein bis heute anhaltender, intensiver Kontakt zu den Pilgern. Italienisch und Englisch spricht sie inzwischen fließend.
Mirjana bekommt von der Gottesmutter den besonderen Auftrag, für diejenigen zu beten, „die die Liebe Gottes noch nicht erkannt haben“. Auf diese Formulierung wird besonders Wert gelegt, da sie gegenüber den Ungläubigen nichts Abwertendes enthält.
Mirjana beschreibt ihre Begegnungen mit der Gottesmutter als stofflich-real. Die Erscheinungen werden von ihr realer erlebt als unsere diesseitige Welt. Maria erscheint unsagbar schön und voller Liebe. Zudem nimmt Mirjana besonders die Entschiedenheit der Gottesmutter wahr, uns Menschen zu helfen. Insofern wirkt Maria offensichtlich kraftvoll, zugleich aber voller Sensibilität für die Nöte der Menschen und mit Tränen auf den Wangen, sobald es um den Zustand unserer Seelen und der Welt geht. Maria in die Augen zu schauen sei, wie im Himmel zu sein, so Mirjana. Entsprechend schmerzhaft ist es für sie, wenn die Erscheinung zu Ende geht.
Bemerkenswert ist auch die Schilderung der jenseitig-materiellen Elemente in den Erscheinungen, wie zum Beispiel die der Kleidung der Muttergottes oder des sie umgebenden blauen Himmels. Es gibt hier keine Trennung vom Bereich des Seelischen. Durch alles hindurch pulsiert die Liebe. Entsprechend ist eine auch nur annähernde bildliche oder akustische Wiedergabe dessen, was Mirjana in den Erscheinungen erlebt, unmöglich.
Ein wesentlicher und für uns alle bedeutsamer Punkt scheint zu sein, dass die gesegnete Jungfrau in den Erscheinungen nicht persönlich zu Mirjana spricht. Sie nimmt somit uns gegenüber keine Sonderstellung bei der Gottesmutter ein. Sie ist nicht mehr und nicht weniger als eine Botschafterin. Mirjana betont immer wieder, dass wir der Muttergottes genauso begegnen können wie
sie. Der einzige Unterschied sei, dass wir sie nicht optisch sehen können. Mit dem Herzen hingegen könnten wir sie jederzeit sehen. Wenn wir uns dessen gewahr werden und diese Erkenntnis auch auf Christus und den himmlischen Vater übertragen, kann dies, weitreichende Konsequenzen für das geistliche Leben haben. Die Preisgabe einiger weniger intimen Sätze, wie sie Mirjana in ihrer persönlichen Begegnung mit Maria typischerweise über die Lippen kommen, kann als besonderes und ergreifendes Geschenk an den Leser und Höhepunkt des Buches angesehen werden.
Es lohnt sich, die Autobiografie Mirjanas mit der Lektüre des bei der „Gebetsaktion Medjugorje Wien“ erschienenen Gesprächsbandes der Journalistin Sabrina Čović-Radojičić und einigen der zahlreichen im Internet auffindbaren Videos zu verknüpfen, in denen die Seherin zu Wort kommt und bei denen man Zeuge der außerordentlichen Qualität ihrer Ekstasen werden kann. Mirjana zeigt sich dann nach und nach in ihrer ganzen Vielschichtigkeit. Schönheit,
Bodenständigkeit, Festigkeit, tiefe Stimme, Klugheit und eigenständiges Urteil verknüpfen sich mit weiblicher Sensibilität, Harmoniebedürftigkeit und Empfindsamkeit. Nimmt man ihren Humor hinzu, komponiert sich dies zu einer eindrucksvollen und überzeugenden Frauengestalt der Gegenwart, die auch auf menschlicher Ebene Orientierung geben kann.
Mirjana Soldo: Mein Herz wird triumphieren. Hardcover, 438 Seiten. 22 Euro, Herausgeber: Matica Hrvatska Čitluk, 2022.Zu beziehen bei den kath.net-Buchhändlern
VIDEO-TIPP: Mirjana - Gespräch mit den Sehern
Der Artikel erschien ursprünglich in der "Tagespost".
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