13. März 2022 in Spirituelles
Bischof Rudolf Voderholzer im Fastenhirtenbrief 2022 "Auch uns ruft der Apostel Paulus zu: „Steht fest im Herrn!“ (Phil 4,1) Dieses Wort ist wie ein Echo der Aufforderung Jesu im Abendmahlssaal: „Bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15,9)."
Regensburg (kath.net)
Hirtenbrief des Bischofs von Regensburg zur österlichen Bußzeit 2022 - „Steht fest im Herrn“ (Phil 4,1)
Liebe Kinder, liebe jugendliche und erwachsene Schwestern und Brüder im Herrn!
1. Zur österlichen Bußzeit, in der wir uns auf das Osterfest, das „Fest der Feste“ unseres Glaubens vorbereiten, grüße ich Euch und Sie alle herzlich!
Jemand sagte mir vor ein paar Tagen: „Ich habe den Eindruck, dass alles um mich herum wankt und ich weiß kaum noch, woran ich mich festhalten kann!“
2. Die Corona-Pandemie, die uns nun schon zwei volle Jahre bedrängt und das Zusammenleben, auch in der Kirche, beeinträchtigt, scheint sich zwar abzuschwächen, aber von Entwarnung kann offenbar noch immer nicht die Rede sein. Uns bewegt die Frage: Wie werden wir mit den Folgen allein der Pandemie fertig werden? Den wirtschaftlichen Folgen, aber auch den sozialen und menschlichen Folgen, gibt die Pandemie doch Anlass zu Zwietracht und Polarisierungen in der Gesellschaft bis hinein in manche Familien.
3. Dazu kommen innerkirchlich Trauer, Schmerz und Wut über das offenkundige Versagen von Priestern und Bischöfen. Das Ansehen der Institution wurde oft der Sorge um die verwundeten Seelen der Betroffenen vorgezogen. Um die notwendigen Schritte der Erneuerung ist ein heftiges Ringen entbrannt.
4. Und seit etwas mehr als 14 Tagen ist auch noch das lange Zeit ganz Unvorstellbare eingetreten: Krieg in Europa, ausgelöst dadurch, dass eine Großmacht in vermeintlicher Überlegenheit das Nachbarland, das geschichtlich eng mit ihm verbunden ist, überfallen hat! Die Nachricht von den getöteten Zivilisten und Soldaten, die Bilder von brennenden Häusern, Fabriken, Kliniken und Atomkraftwerken schockieren uns, die Bilder vom Getrenntwerden der Familien sowie der Frauen und Kinder auf der Flucht rühren uns zutiefst an. Die Drohungen des russischen Machthabers lassen noch Schlimmeres befürchten.
5. Angesichts so vieler Turbulenzen verwundert es nicht, dass sich das Gefühl einstellt, nicht mehr ein noch aus zu wissen; Ausschau zu halten nach einem Rettungsanker, nach einem Geländer, an dem man sich festhalten kann. Wie bekommen wir wieder Boden unter den Füßen?
6. Liebe Schwestern und Brüder, ich habe kein Patentrezept anzubieten. Aber die Worte des Apostels Paulus aus dem Philipperbrief, die heute als Lesung vorgetragen wurden, treffen mich tief ins Herz. Sie sind für mich so etwas wie ein Rettungsring, wie ein unverhoffter Wegweiser im Nebel von Orientierungslosigkeit und ein Trost in Trauer und Schmerz.
Auch uns ruft der Apostel Paulus zu: „Steht fest im Herrn!“ (Phil 4,1) Dieses Wort ist wie ein Echo der Aufforderung Jesu im Abendmahlssaal: „Bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15,9).
In der Taufe sind wir in Christus und seinen Leib eingegliedert worden. In der Taufe ist uns sein Bild eingeprägt. Seit der Taufe dürfen wir seinen Namen „Christ“ / „Christin“ tragen. Christliche Existenz heißt leben in der Verbundenheit, in der Freundschaft mit ihm.
7. Wir machen uns fest in ihm, wenn wir seine Worte hören und betrachten, seine Worte, die nicht vergehen, wenn auch Himmel und Erde vergehen (vgl. Lk 21,33).
Wir machen uns fest in ihm, wenn wir im Sakrament der Versöhnung seine Vergebung und seinen Geist zum Neubeginn empfangen.
Wir machen uns fest in ihm, wenn wir in der Gemeinschaft seiner Kirche die Eucharistie feiern, ihn anbeten und im Brot des Lebens empfangen, durch das er uns in sich verwandelt.
Wir machen uns fest in ihm, wenn wir uns zum Gebet auch außerhalb der Kirche versammeln in Gebetsgruppen oder Bibelkreisen: Dafür gilt seine Verheißung: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20)
Wir machen uns fest im Herrn, wenn wir uns beim Rosenkranzgebet von Maria, seiner Mutter, an der Hand nehmen lassen und die Geheimnisse seines Lebens, seines Leidens und seiner Auferstehung betrachten.
Wir machen uns fest in ihm, wo immer wir uns anrühren lassen von der Not eines Mitmenschen, sei es der Frauen und Kinder, die jetzt aus ihrer ukrainischen Heimat fliehen müssen, sei es die Not von Menschen, die in unserer unmittelbaren Umgebung verachtet und an den Rand gedrängt werden oder von materieller oder seelischer Not geplagt sind.
Wir machen uns fest in ihm, wenn wir – gerade jetzt in dieser österlichen Bußzeit ‑ seinen Kreuzweg betrachten und ihn begleiten hinein in sein Leiden und Sterben für uns, damit wir schließlich mit ihm von der Freude über die Auferstehung überwältigt werden.
8. Ich lade Sie ein, an den Sonntagnachmittagen dieser Fastenzeit mit mir den Kreuzweg zu beten in dem besonderen Anliegen: Buße, Reue, Umkehr, Neuanfang.
„Steht fest im Herrn, geliebte Schwestern und Brüder!“ Das ist das eine Wort aus dem Philipperbrief, das mir Orientierung gibt.
9. Das zweite Wort, das mich wieder ganz neu angesprochen hat, lautet: „Unsere Heimat ist im Himmel.“ (Phil 3,20) Wir haben es vermutlich schon oft gehört bei einer Beerdigung oder in einer Messe für Verstorbene. In der Tat verweist uns Paulus hier auf das Jenseits als die wahre Zielperspektive unseres Lebens.
Christsein heißt tatsächlich erst einmal anerkennen: „Wir sind nur Gast auf Erden.“ Aber natürlich wollen wir diese Erde den kommenden Gästen so schön und bewohnbar hinterlassen, wie wir sie vorübergehend bezogen haben.
10. Wenn tatsächlich, wie Meinungsforschungsinstitute festgestellt haben, auch viele Christen nicht mehr auf ein ewiges Leben hoffen, ist das ein Alarmsignal!
„Unsere Heimat ist im Himmel“: Das ist nicht Vertröstung, sondern echter Trost gerade auch noch einmal für die Opfer des Krieges, für die jede innerweltliche Gerechtigkeit zu spät kommt. Billige Vertröstung wäre es nur, wenn nicht zugleich das Wort Jesu ernst genommen wird: Was ihr dem geringsten meiner Schwestern und Brüder getan oder nicht getan habt, und zwar hier und jetzt, das habt ihr mir getan oder eben auch nicht getan (vgl. Mt 25,40.45).
11. Zur Heimat im Himmel gehört das Gericht in Gestalt der Begegnung mit dem wiederkommenden Herrn: Nicht als Drohung, sondern als Hoffnung auf endgültige und ausgleichende Gerechtigkeit.
Die Hoffnung auf die Heimat im Himmel entlastet mich, befreit mich von der Erwartung, in diesem irdischen Leben alles auskosten und genießen zu müssen.
Das Paradies werden wir nicht auf Erden verwirklichen. Viele, die mit diesem Anspruch angetreten sind, haben letztlich anderen die Hölle auf Erden bereitet. Die Hoffnung auf die ewige Heimat hingegen führt nicht zur Weltflucht. Sie beflügelt, gerade auch die irdische Heimat menschlich zu gestalten: Heimatlosen und Flüchtlingen Obdach und eine Zukunftsperspektive zu geben, Kranken und Notleidenden beizustehen. Die heilige Elisabeth von Thüringen, der selige Eustachius Kugler und viele Heilige der Nächstenliebe sind Beispiele dafür. Danke für die große Hilfsbereitschaft ganz aktuell bei der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, aber auch für Ihre Spendenbereitschaft!
12. Das Evangelium von der Verklärung Christi zeigt uns: Immer wieder dürfen wir ein Aufblitzen der Herrlichkeit des Himmels schon in der irdischen Pilgerschaft erleben. Hüten wir die Taborstunden als kostbaren Schatz.
Der Himmel, liebe Schwestern und Brüder, ist nicht ein irdischer Ort hinter den Wolken, sondern Beziehung, Fülle der Gemeinschaft, letztlich die Gemeinschaft mit dem lebendigen und dreifaltigen Gott in der Fülle eines ewigen „Jetzt“. Uns ist verheißen, was alle unsere Vorstellungen überbieten wird, denn was noch kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was noch in niemandes Sinn gekommen ist, das ist das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (vgl. 1 Kor 2,9).
Oft bete ich mit Worten, die der große Theologe Karl Rahner auf sein Sterbebild hat drucken lassen: „Ich warte, o Gott, in Geduld und Hoffnung, ich warte wie ein Blinder, dem man den Aufgang des Lichtes verheißt.“
13. Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Im Zusammenhang mit der erhofften Aufhebung der Corona-Beschränkungen kursiert seit einiger Zeit das Wort vom „Freedom-Day“, vom „Tag der Freiheit“.
Die verantwortlichen Politiker sind noch zurückhaltend. Bleiben auch wir vorsichtig! Aber wie auch immer es mit der Corona-Pandemie weitergeht, eines steht fest:
Das Osterfest ist der „Freedom-Day“, der „Tag der Befreiung“ schlechthin; der Tag der Befreiung in einem umfassenden Sinn: Am Karfreitag heftet der Herr den Schuldschein unserer Sünden an das Holz des Kreuzes und kauft uns frei. Am Karsamstag steigt er hinab in das Reich des Todes, um die Pforten der Hölle zu sprengen und so der Menschheit in Adam die Fesseln des Todes zu nehmen. An Ostern und Christi Himmelfahrt stößt er für uns das Tor des Himmels auf, trägt er unsere Menschheit zum Herzen des Vaters.
14. Lassen wir unsere Herzen dort verankert sein, wo die wahren Freuden sind, und stehen wir fest im Herrn!
Dazu segne Euch und Sie alle der allmächtige und barmherzige Gott der + Vater und der + Sohn und der Heilige + Geist!
Regensburg am 1. Fastensonntag, 6. März 2022
+ Rudolf, Bischof von Regensburg
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