30. Dezember 2020 in Weltkirche
„Kirche in Not“ Bilanz für 2020 in Bezug auf die Lage der Christen in der Welt
München-Wien (kath.net/KIN)
Corona, Terror, Krieg – und immer wieder auch eine zunehmende Verfolgung: 2020 war für viele Christen ein schwieriges Jahr. Thomas Heine-Geldern, Geschäftsführender Präsident der Päpstlichen Stiftung „Kirche in Not“ (ACN) zieht zum Jahreswechsel Bilanz zu Brennpunkten der Verfolgung, zum Einsatz für Religionsfreiheit, aber auch zu Lichtblicken und geleisteten Hilfen.
Kirche in Not: 2019 war ein schreckliches Jahr für Christen. Hat sich diese Situation 2020 weiter verschärft?
Thomas Heine-Geldern: Corona und die Folgen haben mancherorts das Menschenrecht auf Religionsfreiheit noch weiter geschwächt. Viele bedrängte Christen sind in dieser Zeit einen wahren Kreuzweg der Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung gegangen. Hinzu kommen tödliche Übergriffe auf Christen. Vor allem Afrika ist 2020 erneut zu einem „Kontinent der Märtyrer“ geworden. Ich möchte unter anderem des Seminaristen Michael Nnadi aus Nigeria sowie des Katecheten Philippe Yargasaus aus Burkina Faso gedenken, die beide ermordet wurden. Aber ich denke auch an die Opfer religiöser Verfolgung, die noch am Leben sind, insbesondere die entführte Schwester Gloria Narvaez in Mali.
Sie haben die Corona-Pandemie angesprochen. Welche Auswirkungen hat sie auf leidende Christen?
Wir haben viele Notrufe aus zahlreichen Ortskirchen erhalten. Es waren laute Hilfeschreie. Es gab Länder, in denen sich die soziale Diskriminierung der Christen während der Pandemie noch weiter intensiviert hat. Ich denke da an die christliche Minderheit in Pakistan oder in Indien. Es war für sie zum Teil unmöglich, über die staatlichen Kanäle Hilfe zu bekommen. Deswegen haben wir von „KIRCHE IN NOT“ ein Nothilfeprogramm gestartet. Aus vielen anderen Regionen, wo die Christen zu den untersten gesellschaftlichen Schichten zählen, kamen Bitten um Unterstützung der pastoralen und karitativen Arbeit. Gerade dort ist die Kirche oft der einzige Zufluchtsort, wenn die staatlichen Einrichtungen ausfallen. Deswegen haben wir den aufopferungsvollen Dienst von Schwestern, Priestern und Ordensleuten durch Existenzhilfe weltweit unterstützt, zum Beispiel in der Ukraine, der Demokratischen Republik Kongo oder Brasilien.
Welche Weltregionen stehen 2021 im Fokus der Arbeit von „Kirche in Not“?
Die Lage in den Ländern der afrikanischen Sahelzone und in Mosambik macht uns sehr große Sorge. Religiöser Extremismus und radikale gewalttätige Islamisten sind auf dem Vormarsch und zerstören das bislang friedliche Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen, um Ressourcen und Macht zu erlangen. Hunderttausende Menschen wurden vertrieben oder sind geflohen. Andere Organisationen ziehen aus Sicherheitsgründen ihre Mitarbeiter zurück, aber die Kirche ist da und sorgt sich um die Menschen. Auch Nigeria wird uns weiterhin stark beschäftigen. Dieses Land ist sehr wichtig für den gesamten Kontinent, aber Terror und Tod liegen wie ein dunkler Schatten über allen Menschen dort. Wir können sie nicht allein lassen.
In den vergangenen Jahren hat „Kirche in Not“ viele Mittel und viel Energie für das Überleben der Christen im Nahen Osten eingesetzt. Seit dem Beginn des Syrienkriegs und den IS-Eroberungen hat „KIRCHE IN NOT“ in Syrien und im Irak Hilfsprojekte in Höhe von über 90 Millionen Euro unterstützt. Hinzu kamen weitere Projekte für Geflüchtete in den Nachbarländern. Wie ist die Lage dort?
Viele Christen im Nahen Osten fühlen sich nach wie vor unsicher und denken daran, ihre Heimat zu verlassen. Die wirtschaftliche und die politische Lage dieser Länder geben ihnen keine Zuversicht. Und auch die Gefahr des Dschihadismus ist nicht gebannt. Libanon, das immer Zuflucht und Halt gerade auch für die Christen im Nahen Osten war, liegt am Boden. Die Lage ist sehr schwer, aber es gibt auch hoffnungsvolle Signale: In der Ninive-Ebene im Irak sind gut die Hälfte der christlichen Familien in ihre Dörfer zurückgekehrt. Auch in Syrien wird wiederaufgebaut. Und der angekündigte Papstbesuch in den Irak Anfang März ist ein großer Hoffnungsschimmer. Wir sind dem Papst unermesslich dankbar, dass er zu den Christen im Irak geht. Sie brauchen ihn.
Am 8. Dezember haben Sie auch über die Lage der Christen in Indien gesprochen. In einem Bericht von „Kirche in Not“ zur Lage der verfolgten Christen steht: „Asien droht der neue Brennpunkt der Christenverfolgung zu werden.“ Ist die Lage dort wirklich so schlimm?
Nationalistische Bewegungen und autoritäre Regierungssysteme machen im asiatischen Raum vielen Christen das Leben schwer. Indien ist ein gutes Beispiel dafür, deswegen haben wir uns zum Beispiel auch für die Freilassung des an Parkinson erkranken 83-jährigen Jesuitenpater Stan Swamy eingesetzt. Das Christentum wird in einigen asiatischen Ländern als ein schädlicher Einfluss aus dem Ausland betrachtet, der die Vorherrschaft der führenden Partei oder die vermeintliche religiöse Geschlossenheit der Nation bedroht. In Indien läuft das unter dem Oberbegriff der Hindutva, der Ausrichtung Indiens nach hinduistischen Regeln, und in China lautet der Begriff Sinisierung, also einer Anpassung der kirchlichen Lehre und Tradition an die „chinesische Kultur“ – so wie sie die kommunistische Partei Chinas versteht.
„Kirche in Not“ veröffentlicht alle zwei Jahre einen Bericht zur Lage der Religionsfreiheit weltweit. Der nächste Bericht musste coronabedingt verschoben werden und wird jetzt im April 2021 erscheinen. Können Sie schon etwas darüber sagen?
Seit dem vergangenen Bericht ist die Lage hinsichtlich der Religionsfreiheit nicht besser geworden, sie hat sich weltweit verschlechtert. Es gab 2020 zwar Gott sei Dank keine so massiven Anschläge auf Christen und andere Religionsgemeinschaften wie im Vorjahr. Aber viel Diskriminierung und Verfolgung ereignet sich im Verborgenen oder wird von der Weltöffentlichkeit zu wenig beachtet. Der neue Bericht möchte genau das offenlegen. In vielen Ländern der Welt, in denen es keine öffentliche Verfolgung ist, gibt es mehr und mehr Ressentiments gegenüber Gläubigen. Das trifft mittlerweile auch in Europa zu. Christen sind heutzutage einem radikalen und tiefgehenden Angriff aus zwei Fronten ausgesetzt: die eine will die christlichen Wurzeln zerstören und eine rein individualistische Gesellschaft ohne Gott schaffen. Und die andere versucht, Menschen zu radikalisieren und mit Gewalt ein fundamentalistisches islamistisches System durchsetzen, indem sie Terror und Gewalt sät und den Namen Gottes und die Religion missbraucht.
Foto: Eine Rosenkranzschwester blickt auf den zerstörten Hafen von Beirut, Foto: KIRCHE IN NOT
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