„Geburt des Sohnes Gottes begründet Einzigartigkeit des Christentums“

6. Dezember 2020 in Weltkirche


Zum 15. Todestag von Leo Kardinal Scheffczyk (1920-2005)


Wien-München (kath.net/KIN)

Vor 15 Jahren, am 8. Dezember 2005, starb Leo Scheffczyk. Der gebürtige Oberschlesier galt als einer der profilitertesten Theologen des 20. Jahrhunderts und lehrte lange Jahre in München. Im Jahr 2001 ehrte Papst Johannes Paul II. das Wirken des Dogmatikers mit der Ernennung zum Kardinal.

Scheffczyk war auch mit dem weltweiten päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“ eng verbunden. Einige Semester hatte er an der theologischen Hochschule in Königstein im Taunus gelehrt, die als „Vaterhaus der Heimatvertriebenen“ galt und wo sich heute die internationale Zentrale von „Kirche in Not“ befindet. Mit dessen Gründer Pater Werenfried van Straaten pflegte er eine langjährige Freundschaft.

In Erinnerung an Kardinal Scheffczyk veröffentlichen wir ein Weihnachtsinterview, das er „Kirche in Not“ Deutschland ein Jahr vor seinem Tod gegeben hat und das auch auf CD erschienen ist. Die Fragen stellt Michael Ragg.

Herr Kardinal, häufig kann man hören und lesen, das Weihnachtsfest sei viel älter als das Christentum, da habe man eben die Wintersonnenwende oder irgendeinen Sonnengott gefeiert und die Kirche habe dieses Fest einfach übernommen. Was unterscheidet denn das christliche Weihnachtsfest von seinen heidnischen Vorläufern?

 

Wir wissen, dass das christliche Weihnachtsfest im 4. Jahrhundert in Rom in die abendländische Kirche eingeführt und auf den 25. Dezember festgelegt wurde. In dem Bestreben, gegen das heidnische Brauchtum ein Gegenstück zu setzen, wurde das Erinnerungsfest an die Geburt Jesu auf diesen Tag gelegt. Dabei wurde dem heidnischen Sonnengott die biblische Bezeichnung Jesu Christi als Sonne der Gerechtigkeit entgegengestellt. Dort im Heidentum wurde ein immer wiederkehrendes Naturgeschehen gefeiert, hier im christlichen Bereich eine einmalige geschichtliche Gottestat.

 

Es gibt noch immer viele Menschen, die doch ahnen, dass Weihnachten eine religiöse Bedeutung hat. Wer in die Kirche geht, hört dann die Weihnachtsgeschichte von Jesus im Stall von Bethlehem. Was ist eigentlich dran an dieser „Geschichte“?

 

Die an Weihnachten gefüllten Gotteshäuser sind ein Beweis dafür, dass die Weihnachtsbotschaft den Menschen noch etwas zu sagen hat, auch wenn sie sich nicht immer von ihrem inneren Kern anrühren lassen. Der Kern aber ist ein geschichtliches Ereignis, von dem in natürlicher Weise berichtet oder erzählt werden muss. Dabei ist es nicht zu umgehen, dass sich ein solcher Bericht in menschliche Darstellungs- und Ausdrucksformen kleidet, dass er in Form einer anschaulichen Geschichte erzählt und eben als Erzählung dargeboten wird. Nur erhebt diese Geschichte den Anspruch, nicht eine phantasiereiche Poesie oder Legende zu sein, sondern wirklich Geschehenes wiederzugeben, so dass wir sagen, es ist nicht eine Geschichte, sondern es ist die Geschichte der Geburt des Erlösers, des Christusereignisses, in der schlichten Form einer allgemeinverständlichen gläubigen Erzählung gehalten, die zugleich auch das Glaubensgeheimnis verkünden will.

 

In der Weihnachtsgeschichte wird uns gesagt, dass dieser Jesus von einer Jungfrau geboren worden sei. Ist das nur ein Symbol für das Besondere an diesem Geschehen, wie das heute manche Theologen meinen, oder darf man das wörtlich nehmen?

 

Der Glaube der Kirche versteht die Jungfrauengeburt tatsächlich realistisch und in diesem Sinne wörtlich. Die geistgewirkte jungfräuliche Empfängnis Marias ist sogar einer der Pfeiler des Weihnachtsgeheimnisses. Bei einer Erzeugung Jesu durch Maria und Josef hätte die Christenheit kaum Grund zur Annahme eines Weihnachtswunders kommen können. Es wäre also als ein ganz natürliches Geschehen angesehen worden, bei dem dann das Neuartige, das Gnadenhafte und Göttliche dieser Gottestat nicht mehr hätte zum Vorschein kommen können. In der Jungfrauengeburt geschah eben das, was der Evangelist Johannes andeutet: dass nämlich diese Geburt nicht aus dem Blute, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geschah.

 

Das war wirklich eine ganz besondere Geburt, denn da ist jemand geboren, der laut Bibel von sich selbst sagt, er sei „der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Nun wird Weihnachten ja auch als „Fest des Friedens“ bezeichnet und ein solcher Anspruch, wie ihn das Christentum erhebt, scheint ja geradezu in einen Kampf der Kulturen zu führen, wie ihn der islamische Fundamentalismus betreibt. Muss man heute diesen Anspruch Jesu Christi relativieren?

 

Mit Ihrem Hinweis bestätigen Sie, dass es sich bei der Geburt des Sohnes Gottes in der Menschheit um etwas Einzigartiges handelt, um ein abgrundtiefes Geheimnis, das den reinen Verstandesmenschen gewaltig herausfordert. Dieses Ereignis begründet auch die Einzigartigkeit des Christentums unter den Religionen. Daraus ergeben sich für das Christentum auch praktische Folgerungen, wie etwa die Verpflichtung zur Missionierung und Ausbreitung dieser einzigartigen Botschaft Christi, was dann von den Gegnern des Christentums gleich als Verletzung des Toleranzgedankens angesehen wird. Aber das Festhalten an der Gottheit Christi und der Einzigartigkeit des Christentums besagt nicht einen Anruf zum Kampf gegen die Religionen und Kulturen, sondern gerade im Namen des Gottes der Liebe und des Friedens einen Appell zum Verstehen der anderen Religionen und ihrer Anhänger. Das ist die recht verstandene Toleranz, die nicht aus Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit erwächst, sondern aus der Anerkennung der Freiheit des Andersdenkenden. Sie hindert nicht die Verkündigung und Verbreitung der eigenen Wahrheit in der Mission und der Neuevangelisierung.

 

Jesus, so verkündet es die Kirche, ist in die Welt gekommen, um uns Menschen zu „erlösen“. Aber man weiß ja heute gar nicht mehr, wovon ...

 

Im Weihnachtsereignis erscheint Christus tatsächlich als der Retter, der Heiland, der Erlöser der Welt. Die Erlösung aber ist im Wesen und im Kern, wie das Wort schon sagt, eine Herauslösung vor allem aus der Sünde, aus dem ewigen Tod und aus der Gewalt des Bösen, auch des Bösen in Person, des Teufels. Sie ist aber zugleich auch eine Einigung des Menschen mit Gott, mit seiner Heiligkeit und mit dem göttlichen Leben der Gnade, für die wir eins werden mit Gott. Heute zeigt man allerdings für den Begriff der Erlösung, vor allem durch das Kreuz, keine große Vorliebe – wegen seiner Nähe zum Opfer und zur Sühne. Man greift deshalb lieber zu dem Begriff der Befreiung, der sich auch auf die irdischen Nöte und Bedrängnisse des Menschen ausdehnen lässt. Man sagt dann mit Betonung, Gott habe in der Erlösung den Menschen aus gänzlich freier Liebe vom tiefsten Elend befreit. Aber auch dann muss man erklären, warum die Befreiung gerade auf dem Weg des Kreuzes vor sich ging. Die Weihnachtsberichte deuten an, dass die freiwillige Hingabe an den Vater am Kreuz der Ausdruck der vollkommenen, der selbstlosesten Liebe ist. Eine größere Liebe aber hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde, erklärt uns der heilige Johannes.

 

In unserer Kultur steht im Weihnachtsfest nicht die Erlösung im Vordergrund. Vielmehr gilt es als das Fest der Geschenke. Passt denn, Herr Kardinal, aus kirchlicher Sicht das Schenken zum Weihnachtsfest?

 

Wenn man vom Kern des Weihnachtsfestes ausgeht, als der Offenbarung der Liebe Gottes in radikaler Hingabe an die menschliche Gebrechlichkeit und Armut, dann darf man das Weihnachtsgeschehen im Ganzen als ein Geschenk Gottes an die Menschheit betrachten. Das Kind in der Krippe ist die Gnade und Gabe Gottes in Person, durch die sich der Mensch unermesslich beschenkt weiß. Dieses Wissen löst im Menschen natürlicherweise einen Impuls aus, von diesem Beschenktsein auch anderen mitzuteilen. Darum ist der Brauch des Schenkens und Sich-Beschenkens, das sich in neuerer Zeit gebildet hat, durchaus sinnvoll. Dieses Schenken ist ein Reflex unseres Beschenktseins durch Christus. Es ist ein Abglanz des Christuslichtes der Weihnacht. Von diesem Sinn und diesem Geist müsste auch unser Schenken beseelt sein.

 

Weihnachten heißt auch das Fest der Familie. Gerade Menschen ohne Familie leiden häufig in den Weihnachtstagen ganz besonders. Kann man denn Weihnachten nur als Familienfest begehen?

 

Weihnachten ist vom Ursprung her eben in die Familien eingesenkt und um die Familie zentriert. An der Geburt Jesu in einer Familie geht uns auf, dass die Familie der Ursprung des natürlichen, aber in gewisser Weise auch des übernatürlichen Lebens ist. Deshalb ist die Familie auch der angemessenste Raum für die Feier des Weihnachtsfestes. Wem allerdings dieser Raum versagt bleibt, der muss sich leiblich oder auch geistig einer Gemeinschaft anschließen. Und wer gänzlich einsam bleibt, sei es aus äußerer Notwendigkeit oder aus höherer Fügung, der sollte sich bewusst in die Zurückgezogenheit und Einsamkeit der Krippe von Bethlehem versenken. In der Angleichung an die Zurückgezogenheit der Heiligen Familie im Stall von Bethlehem und an die Armut Jesu kann ihm das Licht der Weihnacht wie am Gegensatz ebenso hell aufgehen. Und in einer bestimmte Weise wird er im Hinblick auf die Krippe immer auch Gemeinschaft empfinden und Gemeinschaft erleben.

 

Wie kann man konkret aus der Weihnachtsroutine ausbrechen und dieses Fest wieder tiefer erleben?

 

Nun, alles, was in einem zeitlichen Rhythmus wiederkehrt und sich im Menschenleben wiederholt, kann auch der Routine anheimfallen und so schal und brüchig werden. Der Gefahr der Veräußerlichung, der Entleerung des Festes, ist grundsätzlich mit dem aufrichtigen Willen zu begegnen: zurück zum Ursprung, zum wahren Sinn des Weihnachtsfestes in der geistigen Begegnung mit dem Kind von Bethlehem, mit Christus, dem Herrn. Es ist dies eine Begegnung mit dem Licht Christi, das immer auch den Ernst des Opfers für die anderen bei sich hat. Wer das bedenkt, wird der Gefahr der Routine entgehen.


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