'Liber Evangeliorum. Die Buchmalerei der Beuroner Kunstschule'

16. Februar 2017 in Buchtipp


„Erstmals liegt nun eine vollständige und hochwertige Reproduktion des Originals vor, um so dem künstlerisch und liturgisch interessierten Leser einen fast vergessenen Schatz der Beuroner Kunst zugänglich zu machen.“ Gastbeitrag von Martin Bürger


Beuron (kath.net) In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand mit der Benediktinerabtei St. Martin zu Beuron im Oberen Donautal auch die sogenannte Beuroner Kunstschule. Peter Lenz gab dazu den Anstoß, als die Mauruskapelle in Beuron nach seinen Vorstellungen errichtet und ausgestattet wurde. Einige Jahre später wurde der Künstler selbst Mönch und ist seither als Pater Desiderius Lenz OSB bekannt. Gemeinsam mit einigen talentierten Mitbrüdern war er in der Lage, eine ganz neue sakrale Kunst zu schaffen, die besonders in der ägyptischen Kunst ihr Vorbild hatte.

Auch Frauenklöster beteiligten sich am von Beuron ausgehenden künstlerischen Aufbruch, der sich nicht nur auf den Bau und die Ausmalung von Kirchen beschränkte. Durch das Leben in strenger Klausur waren die Nonnen und ihre Werke indes nicht so prominent wie einige der Mönche. Die Benediktinerinnen von St. Gabriel in Prag etwa schufen von 1899 bis 1913 ein Evangelienbuch, das zu Hochfesten in der Liturgie verwendet wurde, darüber hinaus jedoch in der Öffentlichkeit kaum bekannt war. Mit dem soeben erschienenen Buch „Liber Evangeliorum. Die Buchmalerei der Beuroner Kunstschule“ ändert sich dies allerdings grundlegend.

Erstmals liegt nun eine vollständige und hochwertige Reproduktion des Originals vor, um so dem künstlerisch und liturgisch interessierten Leser einen fast vergessenen Schatz der Beuroner Kunst zugänglich zu machen. Das Evangeliar umfasst pro Doppelseite „zu den im Kloster gefeierten Hochfesten jeweils eine Miniatur und den vorzutragenden Abschnitt aus den Evangelien mit der zugehörigen Oration (Tagesgebet)“. Insgesamt haben 18 Feste Aufnahme gefunden, darunter natürlich die für die ganze Kirche wichtigsten Hochfeste wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten, aber auch die nur in benediktinischen Gemeinschaften besonders feierlich begangenen Heiligenfeste des heiligen Benedikt und der heiligen Scholastika.

Die in Prag künstlerisch tätigen Nonnen arbeiteten als Lukasgilde, und diese beschränkte sich nicht nur auf das „Liber Evangeliorum“. Stattdessen entstanden „schon vor oder zeitgleich mit den Arbeiten am Evangeliar […] in St. Gabriel Miniaturen zu den O-Antiphonen. Da die Chorfrauen von St. Gabriel im Lauf der Zeit große Fertigkeit in dieser Technik erlangt hatten, wundert es nicht, weitere Werke in ihrem Oeuvre zu finden: Kanontafeln, Rituale, Horenbilder und nicht weniger als drei Exsultet-Rollen sind hervorzuheben.“ Das Evangeliar selbst ist nicht von einer einzelnen Benediktinerin gemalt worden. Selbst an den einzelnen Blättern waren verschiedene Nonnen beteiligt, die in der Einleitung zur Reproduktion des „Liber Evangeliorum“ kurz vorgestellt werden.

Ihr Selbstverständnis als Künstlerin hat Schwester Adelgundis von Liechtenstein OSB, sicherlich ganz im Sinne ihrer Mitschwestern, in einem Brief an Pater Desiderius zum Ausdruck gebracht: „Wie der Glaube die Grundlage unseres Lebens ist, so soll er es auch in unseren Malereien sein. Und wie die Quelle und zugleich die herrlichste Frucht dieses Glaubens die hl. Liturgie ist, so wollen wir auch mit aller Kraft darnach streben, im Geiste dieser hl. Liturgie zu arbeiten.“ Pater Desiderius kommentierte selbst immer wieder die Entwürfe, die ihm aus Prag zugeschickt wurden, sodass im Vergleich zu den ersten Skizzen sein Einfluss im fertigen Evangelistar festzustellen ist.

Die vorliegende Ausgabe des „Liber Evangeliorum“ präsentiert zu jeder Doppelseite einen ausführlichen Kommentar. Die liturgischen Texte, also die Perikope aus dem Evangelium sowie das Tagesgebet, liegen selbstverständlich in deutscher Übersetzung vor. Mitunter finden sich auf der Textseite der Doppelseite auch andere Zitate, etwa aus der Heiligen Schrift oder dem Brevier. Im Original fehlen natürlich die Verweise auf die entsprechenden Quellen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da gerade in den Klöstern der benediktinischen Tradition die Liturgie buchstäblich gelebt wurde, die Mönche und Nonnen also mit lateinischen Zitaten problemlos umgehen konnten. Die künstlerische Gestaltung der Textseite wird ebenfalls kurz analysiert.

Die Bildseite der Doppelseite ist sehr komplex. Neben vielen kurzen lateinischen Zitaten, die bisweilen so klein sind, dass sie mit bloßem Auge kaum entziffert werden können, benötigt besonders die Symbolik der Bilder eine eingehende Erläuterung. Zum Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus ist im Zentrum des Bildes ein Schifflein, das die Kirche symbolisiert. Am Ruder ist der heilige Papst Pius X. zu sehen, auf dem Segel sein Wahlspruch. Das Netz ist ausgeworfen und verweist auf den kirchlichen Dienst als Menschenfischer.

„Auf dem Meer versammelt sich die Flotte der Feinde des Glaubens und der Kirche, lauter verschwindend kleinen Papyrusbarken nachgestaltet. […] Die Boote tragen sechs als besonders bedrohlich geltende Anfeindungen der Kirche.“ Zunächst der Rationalismus, der sich mit dem Finger an die Stirn tippt, „um der Hl. Kirche zu bedeuten, wie dumm es ist zu glauben, wenn man sich doch auch des Verstandes zu bedienen weiߓ. Der Bootsführer wird von hinten von einem kleinen Teufel am Ohr gekitzelt. Die weiteren Barken symbolisieren die weltliche Macht, Martin Luther („ein kleiner Hund ist an seiner Seite, der aus ganzen Kräften bellt“), die schlechte Presse, die Revolution sowie schließlich die Freimaurerei. Es sind derartige Details, welche die Kommentare und Erklärungen der Autoren Pater Augustinus Gröger OSB, Monica Bubna-Litic, Miroslav Kunštát und Hana Navrátilová unverzichtbar machen.

Außer dem deutschen Text finden sich alle Informationen auch in tschechischer Sprache. Die Abbildungen der Seiten aus dem Evangeliar von St. Gabriel werden ergänzt durch zahlreiche weitere Bilder von Entwürfen, Erstfassungen, anderen ähnlichen Kunstwerken sowie Details aus dem Original. Dominik Kardinal Duka OP hat in einem Schreiben seine Unterstützung für die Arbeit des Herausgebers hervorgehoben. Erzabt Tutilo Burger OSB von Beuron und der Prager Weihbischof Václav Malý steuerten jeweils ein Geleitwort bei.

Es ist sehr zu wünschen, dass sich viele Leser an der großartigen sakralen Kunst der Beuroner Kunstschule erfreuen. Darüber hinaus ist vielleicht auch der eine oder andere Mensch mit künstlerischer Begabung inspiriert, im Geiste von Beuron an der Erneuerung sakraler Kunst mitzuwirken, die ja seit den letzten Jahrzehnten vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil von abstrakten und häufig wenig packenden Erzeugnissen geprägt ist, wie man in zahlreichen Kirchen im ganzen deutschen Sprachraum beobachten kann.

Editor: Monica Bubna-Litic
LIBER EVANGELIORUM / Knižní malba Beuronské umělecké školy / Die Buchmalerei der Beuroner Kunstschule
Gebunden, 232 Seiten
Stiftungsfonds Malakim, Prag 2016
ISBN 978-80-906334-0-7
Preis: 98,00 Euro
Bestellen: Via EOS - Editions Sankt Ottilien

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